Die Digitalisierung ist ein weitreichendes gesellschaftliches Phänomen, das in alle Lebensbereiche des Menschen zunehmend Einzug hält. In der Arbeit, im Privatleben und im öffentlichen Leben ist eine breite Palette digitaler Technologien und Medien für viele Menschen ständiger Begleiter: mobile Endgeräte wie Smartphones, digitale Kommunikationskanäle wie soziale Medien, bis hin zu sogenannten Wearables wie beispielsweise Fitnessarmbänder. Für viele Nutzerinnen und Nutzer sind solche Technologien und Medien bereits gewohnheitsmäßig in den Alltag integriert. Ihre Nutzung verändert jedoch auch die Verhaltens- und Denkweisen der Menschen.
Durch die Digitalisierung entstehen zahlreiche Vorteile für Individuen, Unternehmen und die Gesellschaft, wie beispielsweise erhöhte Produktivität, gesunkene Transaktionskosten, bessere Information und höhere Lebensqualität. Daneben ergeben sich durch die intensive Nutzung von digitalen Technologien und Medien allerdings vielfältige Veränderungen, die nur schwer abschätzbare Gefahren bergen, wie Auswirkungen auf die psychische und körperliche Gesundheit. Ein Kernproblem ist digitaler Stress, der durch 17 derzeit bekannte Belastungsfaktoren ausgelöst werden kann. Dazu gehören beispielsweise das Gefühl der ständigen Erreichbarkeit, die Entgrenzung von Arbeits- und Privatleben, die Informationsüberflutung und das damit verbundene Empfinden, schneller arbeiten zu müssen, eine wahrgenommene Leistungsüberwachung sowie die Verletzung der Privatsphäre durch digitale Medien und Technologien. Zusätzlich sind aus der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen weitere Belastungsfaktoren wie zum Beispiel Cybermobbing bekannt.
Aufgrund der großen Bedeutung des Themas digitaler Stress für die Gesellschaft hat das Bayerische Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst Fördergelder für die intensive wissenschaftliche Beforschung zur Verfügung gestellt. Für den Zeitraum von 2019 bis 2023 arbeitet ein interdisziplinärer Verbund von elf Forschungsgruppen an fünf bayerischen Universitäten (Augsburg, Bamberg, Erlangen-Nürnberg, München und Würzburg) daran, zum gesunden Umgang mit digitalen Technologien und Medien beizutragen.
Die unterschiedlichen Fragestellungen rund um das Thema erfordern eine interdisziplinäre Herangehensweise; die Fragestellungen sind in vier Themengebiete untergliedert (Cluster A – D). Im Forschungsverbund arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus fünf Disziplinen zusammen. In der Wirtschaftsinformatik ist das Konzept von digitalem Stress, der auch als Technostress bezeichnet wird, seit den 1980er Jahren bekannt. Es gibt aber viele Facetten, die noch weiterer Forschung bedürfen. Die Psychologie forscht intensiv zu Voraussetzungen, Wirkweisen und Implikationen von Stress im Allgemeinen und digitalem Stress im Speziellen. Die Informatik beschäftigt sich im Kontext von digitalem Stress mit menschenzentriertem Design technischer Systeme sowie automatisierter Erkennung von Anzeichen und Folgen von Stress. Die Kommunikationswissenschaft analysiert die Wahrnehmung und Darstellung des Phänomens in den Medien und im Medienalltag. Die Medizin konzentriert sich schließlich auf physiologische und biomedizinische Auswirkungen von Stress.
Diese sich ergänzenden Fachgebiete arbeiten im Verbund an projekt- und themenübergreifenden Fragestellungen zusammen. Unterschiedliche Sichtweisen der Disziplinen und der Einzelprojekte werden so integriert, um das Phänomen digitaler Stress in seiner Gesamtheit zu verstehen und zu adressieren. Dazu beschäftigen wir uns mit verschiedenen wissenschaftlichen Theorien und Konzepten der beteiligten Disziplinen, mit unterschiedlichen Arten der Messung und Erfassung von Faktoren des digitalen Stresses, mit den diversen Wirkweisen von digitalem Stress auf unterschiedliche Personengruppen sowie mit ethischen Fragestellungen.
Insgesamt erhoffen wir uns von der Arbeit des Forschungsverbunds neue Möglichkeiten und Sichtweisen darauf, digitalen Stress zu verstehen und damit umzugehen. Dabei ergänzen wir bisherige Arbeiten in mehrfacher Hinsicht. Zum einen bietet die Breite des Forschungsverbunds Möglichkeiten, digitalen Stress in einer Vielzahl von Lebensbereichen auf verschiedenen Ebenen mit einer Vielzahl an komplementären Methoden zu erforschen. Gleichzeitig bietet der interdisziplinäre Ansatz die Chance, verschiedene Facetten des digitalen Stresses, wie seine psychischen und physischen Folgen, seine Bewältigung sowie potentiellen positiven Seiten, zu erforschen. Darüber hinaus möchten wir im Hinblick auf Prävention von digitalem Stress, wie zum Beispiel durch spezielles Design von digitalen Technologien und Medien oder durch Vermittlung von Medienkompetenz, neuartige Beiträge leisten.
Das Thema digitaler Stress ist für die Öffentlichkeit relevant und aktuell; es wird in Politik, Wirtschaft und Medien genauso diskutiert wie im privaten Bereich. ForDigitHealth wird sich in diesen Diskurs mit seiner wissenschaftlichen Perspektive einbringen, um sowohl Personen in Entscheidungspositionen als auch Nutzerinnen und Nutzern digitaler Technologien und Medien Erklärungen und Hinweise zum gesunden Umgang zu bieten.
Dazu stellen wir verschiedene Formate bereit, um sich zu informieren und mit uns in Dialog zu treten: Neben öffentlichen Veranstaltungen, voraussichtlich in Kooperation mit gesellschaftlichen Institutionen und Forschungseinrichtungen, werden die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Verbunds in dem Blog „Gesund digital leben“ auf dem Blogportal SciLogs (Verlag Spektrum der Wissenschaft) regelmäßig Beiträge aus ihrer wissenschaftlichen Arbeit veröffentlichen. Man kann dem Verbund auf Twitter folgen (@fordigithealth) und sich natürlich auch ganz klassisch auf der Webseite gesund-digital-leben.de informieren oder per E-Mail oder Telefon Anfragen an die Geschäftsstelle des Verbunds an der Universität Augsburg richten. Wir freuen uns über reges Interesse an unserer Arbeit.
– Prof. Dr. Henner Gimpel, Sprecher des Verbunds (2019-2020)