Was kann digitalen Stress auslösen?
Es gibt verschiedene Modelle, die erklären, wie digitaler Stress entsteht. Häufig sehen diese Stressauslöser aus der Umwelt als Ausgangspunkt des Stressprozesses. Stressauslöser, die von außen auf Individuen einwirken, müssen im Gleichgewicht zu dem stehen, was die Person leisten kann. Ist dies nicht der Fall, kommt es zu einem Ungleichgewicht, das in Überforderung resultieren kann. So „kann“ Stress entstehen, weil neben den Faktoren, Person und Umwelt, auch die Wahrnehmung der Person eine Rolle spielt: Belastungsfaktoren aus der Umwelt sind zunächst neutral, und werden vom Individuum hinsichtlich der eigenen Fähigkeiten und verfügbaren Ressourcen eingeschätzt. Eng mit dem Wahrnehmungsaspekt ist auch der Ansatz verbunden, dass es guten digitalen Stress geben kann.
Zusammengefasst bedeutet es: Stressoren sind Stimuli aus der Umwelt, die der Mensch bewertet, wodurch Stress entstehen kann. Diese Umweltfaktoren sind häufig so definiert, dass sie eine erhöhte Wahrscheinlichkeit besitzen, Stress zu verursachen. Jedoch führt nicht jeder Stimulus bei jedem Individuum auch wirklich zu Stress.
Digitaler Stress – Kenne deine digitalen „Feinde“
Wenn man nicht weiß, was einen stresst, kann man nichts dagegen tun. Deshalb ist es wichtig, die Auslöser von digitalem Stress zu erforschen und zu kennen. Denn nur so kann man sich bewusst machen, was einen stresst und auch etwas daran verändern.
In der Forschung ist die Sichtweise verbreitet, dass zwischen hinderlichen, bedrohlichen und herausfordernden Stressoren unterschieden werden kann. Teilprojekt A01 vertritt die Auffassung, dass dies eine stark vereinfachte Darstellung ist, da dabei das Individuum, das Ausmaß des Stressors und die Situationsbedingungen nicht berücksichtigt werden. Dennoch gibt es eine Reihe von Stressoren, die mit hoher Wahrscheinlichkeit digitalen Stress auslösen und somit potentiell gefährlich sind. Welche verschiedenen digitalen Stressoren es gibt, wird beispielhaft an Alex Arbeitsalltag aufgezeigt.
Digitale Stressoren – Technologieeigenschaften
Digitale Technologien selbst können Stressoren sein: Letztens war bei Alex in der Arbeit die interne Kommunikation nicht verfügbar – der E-Mail-Server war abgestürzt. Bei Alex löste dies großen Stress aus, weil die Rücksprache mit Kolleg*innen im Homeoffice nicht möglich war und einige Besprechungen verschoben werden mussten. Das ist nicht die einzige Technologie, die bei Alex in der Firma oft unzuverlässig ist und immer wieder abstürzt. Nie zu wissen, ob eine Technologie funktioniert oder nicht, nervt nicht nur, sondern führt bei Alex auch zu Stress. Auch die Komplexität von Technologien kann Stress auslösen, wenn die Technologie als so kompliziert wahrgenommen wird, dass man nicht mit ihr umgehen kann. Das bedeutet nicht, dass Technologien grundsätzlich kompliziert sind, sondern es hängt von der konkreten Gestaltung einer Technologie und der individuellen Wahrnehmung der Nutzenden ab. Während es beispielsweise für Alex einfach ist, ein Dokument einzuscannen, fühlt sich sein älterer Kollege Willi damit häufig überfordert und muss Alex jedes Mal um Hilfe bei der Bedienung bitten.
Digitale Stressoren – individuelle Technologienutzung
Ein weiterer Stressauslöser können Unterbrechungen sein, die durch digitale Technologien verursacht werden: Während einer Videokonferenz macht es laut „Bling“ und es erscheint eine E-Mail-Benachrichtigung, die Alex sofort anschaut. Dadurch wird Alex nicht nur bei seinem Meeting unterbrochen, sondern auch abgelenkt und aus den Gedanken gerissen. Jedoch könnte Alex die Nutzungseinstellungen ändern und derartige Push-Benachrichtigungen deaktivieren, um solche Unterbrechungen zu vermeiden. Das bedeutet, dass der digitale Stressor auch im Zusammenhang mit Alex Umgang der Technologien steht. Neben der eigenen, kann auch die Technologienutzung anderer zu digitalem Stress führen: Während des Meetings erhält Alex nicht nur diese eine E-Mail, sondern eine ganze Flut an E-Mails. Statt in dringenden Fällen mit Alex persönlich oder per Telefon zu sprechen, schicken die Kolleg*innen sämtliche Aufgaben und Anfragen per E-Mail. Das hat zur Folge, dass Alex gar nicht weiß, wo Anfang und Ende sind und wie er die Anfragen priorisieren soll. Nach Feierabend sitzt Alex entspannt in einem Café mit Freunden, als die Smartwatch ertönt, weil noch eine E-Mail von seiner Chefin reingekommen ist. Weil Alex das Arbeitspostfach auch auf seinen privaten Geräten eingerichtet hat, sind die E-Mails dauerpräsent und verstärken die Entgrenzung von Arbeits- und Privatleben. Das hat zur Folge, dass Alex die E-Mails in der Freizeit liest und gedanklich schon beim nächsten Arbeitstag ist, weil er ständig darüber nachdenkt, was da morgen auf ihn zukommt.
Digitaler Stressor – Verunsicherung
Die dritte Gruppe von Stressoren hat mit Verunsicherung durch digitale Technologien zu tun. Die laufenden Veränderungen, die mit digitalen Technologien verbunden sind, können Nutzende verunsichern: Alex hat grundsätzlich Schwierigkeiten mit dem Fotobearbeitungsprogramm und immer, wenn Alex sich gerade eingedacht hat und damit zurechtkommt, gibt es wieder ein neues Update. Mit der Vielzahl der Technologien, die Alex verwalten muss, geht für ihn auch eine Unklarheit der Rolle hervor: Alex ist eigentlich nur Nutzer*in, fühlt sich aber manchmal als IT-Administrator*in, weil Alex sich ständig mit digitalen Neuerungen beschäftigen muss. Waltraud hingegen hat das Gefühl, dass jüngere Kolleg*innen besser mit digitalen Technologien umgehen können als sie selbst. Deshalb nimmt sie eine gewisse Jobunsicherheit wahr und befürchtet, dass sie deswegen ersetzt werden könnte.
Was noch erforscht werden muss
In der wissenschaftlichen Literatur gibt es unterschiedliche Stressoren. Deren Anzahl und Granularität hängt davon ab, welche Untergliederungsebene herangezogen und wie unterschieden und zusammengefasst wird. Ist eine Unterbrechung durch das Smartphone oder den Laptop qualitativ unterschiedlich zu einer anders ausgelösten? Was ist, wenn man sich selbst unterbricht, indem man grundlos zum Smartphone greift, um die Nachrichten zu checken? Weil es hier keine einheitliche Sichtweise gibt, stellen die hier beschriebenen Stressoren auch keine vollständige Liste aller Auslöser von digitalem Stress dar.
Derzeit kennen wir viele Stressoren, die bei Menschen Stress auslösen können. Jedoch wissen wir zum Beispiel noch weniger über den Zusammenhang von Stressoren mit dem Individuum. Deshalb soll in der künftigen Forschung das Individuum noch stärker in den Fokus genommen werden, um die Frage zu beantworten: Für wen führt welcher Stressor unter welchen Bedingungen zu digitalem Stress?
Das Wichtigste auf einen Blick
- Stressoren sind Umweltfaktoren, die eine erhöhte Wahrscheinlichkeit besitzen Stress zu verursachen. Jedoch führt nicht jeder Stimulus bei jedem*r zu Stress.
- Digitaler Stress kann durch Eigenschaften der Technologien, den eigenen Umgang mit digitalen Technologien und Verunsicherung durch neue Technologien ausgelöst werden.
Autorin: Dana Schmauser