Warum können manche Menschen besser (schlechter) mit digitalem Stress umgehen?
Wenn es um die Wahrnehmung von und den Umgang mit (digitalem) Stress geht, werden dazu Fragestellungen rund um den Kontext Arbeitswelt in der Wissenschaft bereits umfangreich erforscht. Wie es sich allerdings mit der Wahrnehmung von und dem Umgang mit Stress im Alltag der Menschen verhält, insbesondere in seiner digitalen Form, stellt bisher eine Forschungslücke dar. Immer häufiger werden wir auch in unserer Freizeit mit digitalen Stressoren konfrontiert und ein gesunder Umgang mit digitalen Technologien und Medien ist essenziell, um das eigene psychische und körperliche Wohlbefinden zu erhalten oder zu verbessern. Das Teilprojekt A02 widmete sich daher dem Medienalltag und hat auch untersucht, warum manche Menschen besser als andere mit digitalem Stress umgehen können.
Stress ist so divers wie seine Betroffenen
Für die Studie wurden 21 Erwachsene 18 Monate lang in ihrem Alltag begleitet, indem sie in regelmäßigen Abständen zu Einzelinterviews eingeladen wurden, Medientagebücher führten und an Gruppendiskussionen teilnahmen sowie verschiedene technische und nicht-technische Copingstrategien testeten (mehr zu den verschiedenen Strategien im Umgang mit digitalem Stress finden sie hier). Bei der Auswahl der Teilnehmer*innen wurden Personen aus verschiedenen Altersphasen, Berufen und mit unterschiedlichen Kompetenzen im Umgang mit Medien ausgewählt, um möglichst viele Erfahrungen und Haltungen über einen längeren Zeitraum in der Studie versammeln zu können. So finden sich unter den Befragten Studierende, Rentner*innen und Berufstätige. Und genauso divers wie die Lebenswelten der Befragten sind ihre Wahrnehmungen von und ihr Umgang mit digitalem Stress, wie die Ergebnisse der Studie zeigen. Auch wenn eine zunehmende Mediatisierung ihres Alltags, also die Vereinnahmung dieses Lebensbereichs durch Medien, die Stresswahrnehmung aller Befragten erhöht, kann nicht von dem digitalen Stress und den allgemeinen Auslösern gesprochen werden. Was die/den eine*n stresst, ist für die/den andere*n kein Problem: Tatsächlich ist, so zeigen die Ergebnisse, dass das individuelle Zusammenspiel von Mediensozialisation, -kompetenz und -haltung sowie der Situation selbst dafür verantwortlich sind, ob und wie digitaler Stress empfunden und wie damit umgegangen wird.
Medienkompetenz und „Agency“ sind ausschlaggebend
Die Mediensozialisation beschreibt das Aufwachsen mit Medien und ist bei allen Personen verschieden. Also ist jemand beispielsweise ein „Digital Native“ und bereits von jung auf mit digitalen Technologien vertraut sowie in ihrer Benutzung geübt oder ein „Digital Immigrant“, der die Nutzung verschiedener digitaler Medien erst im Erwachsenenalter erlernt hat. Die Mediensozialisation bezieht sich also auf die Erfahrungen und Routinen, die eine Person im Laufe seines Lebens gemacht hat. Medienkompetenz hingegen bezeichnet die vielfältigen Fähigkeiten, die im Umgang mit digitalen Technologien und Medien von Vorteil sind und diesen erleichtern. Eine medienkompetente Person erkennt beispielsweise nicht nur die kurzfristigen Vorteile einer App, sondern kann auch durch die Anpassung der Einstellungen einer App (z.B. bei Benachrichtigungseinstellungen) mögliche künftige Stressoren vermeiden. Die Medienhaltung wiederum umfasst die Einstellungen und Meinungen, die man gegenüber digitalen Technologien entwickelt hat. Dies meint dann nicht nur eine generell positive oder negative Grundhaltung gegenüber digitalen Technologien, sondern auch die Bewertung einzelner Anwendungen mit den jeweiligen Vor- und Nachteilen, sowie dem Platz, dem man digitalen Medien generell in seinem Leben einräumt. Hier hat die Studie gezeigt, dass eine aufgeschlossene Einstellung gegenüber digitalen Technologien und das Vermeiden einer Überbetonung ihrer Wichtigkeit dazu beiträgt, sich weniger gestresst zu fühlen. Diese drei Aspekte – Mediensozialisation, Medienkompetenz und Medienhaltung – sind im Wesentlichen dafür verantwortlich, wie schnell eine Person digital gestresst ist oder nicht.
Personen, die sich mit ihrem eigenen Medienkonsum auseinandersetzen, aktiv und selbstbestimmt mit Medien umgehen und bewusste Entscheidungen treffen, gelingt es am ehesten digitalen Stress zu reduzieren. Dieses Bewusstsein, selbst seinen Medienalltag aktiv beeinflussen zu können, kann als Agency (Handlungsfähigkeit) bezeichnet werden. Das heißt, die Menschen erkennen, dass sie es selbst in der Hand haben, wie sie Medien nutzen und gewichten und so einen persönlichen Gestaltungsspielraum eröffnen, um digitalen Stress zu reduzieren.
Kontextualisierte Stressforschung als Ziel
Die Ergebnisse des Teilprojekts zeigen, dass die drei Dimensionen – Mediensozialisation, Medienkompetenz und Medienhaltung – ausschlaggebend sein können für den Umgang mit digitalem Stress. Dabei lassen sich manche Dimensionen wie die Medienkompetenz aktiv durch die Menschen beeinflussen, andere wie die Mediensozialisation setzen eher den Rahmen und können bestimmte Stressreaktionen besser erklären. Wessen Eltern schon früh den Zugang zu digitalen Geräten erlaubt haben, besitzt bereits mehr Erfahrungen im Umgang mit diesen als Personen, wo der Zugang eher beschränkt wurde. So wird auch deutlich, dass die einzelnen Dimensionen aufeinander Einfluss nehmen und nicht getrennt betrachtet werden sollen. Im Umgang mit digitalem Stress heißt das, genau die Situation und die gegebenen Kontexte zu betrachten und dann gezielt Strategien umzusetzen. Wo für die/den Eine*n das Trainieren der Medienkompetenz helfen kann, um sich weniger gestresst zu fühlen, kann es für eine*n Andere*n sinnvoller sein, die eigene Einstellung gegenüber digitalen Technologien zu hinterfragen. Als eine der ersten Studien in Deutschland zu digitalem Stress im Alltag, hilft das Teilprojekt A02 somit zu verstehen, wie komplex dieses Thema ist und zeigt, wie wichtig es ist, digitalen Stress und seine Erforschung zu kontextualisieren und nicht generelle Maßnahmen zu formulieren.
Das Wichtigste auf einen Blick
- Das Zusammenspiel von Mediensozialisation, -kompetenz und -haltung ist ausschlaggebend dafür, warum manche Menschen besser mit digitalem Stress umgehen können als andere.
- Diese drei Dimensionen sind individuell verschieden und erfordern je unterschiedliche Strategien, um einen gesunden Umgang mit digitalen Medien und Technologien zu erlernen.
- Digitaler Stress muss daher individuell und kontextbezogenen mit Berücksichtigung der Mediensozialisation, sowie der vorhandenen Medienkompetenzen und -haltungen betrachtet und kann nicht pauschal angegangen werden.
Autorin: Theresa Aumüller