Was stresst uns in der Freizeit?
Durch die fortschreitende Entgrenzung von Freizeit- und Arbeitsleben und die zunehmende Nutzung von digitalen Technologien und Anwendungen im Alltag sind wir auch in der Freizeit verstärkt digitalem Stress ausgesetzt. Wie genau dieser im Medienalltag entsteht und was die Auslöser sind, wurde bisher noch nicht genauer erforscht. Das Teilprojekt A02 hat dies zum Anlass genommen, sich mit (digitalem) Stress in der Freizeit zu beschäftigen. Mit einer qualitativen Langzeitstudie wurde nicht nur untersucht, warum manche Menschen besser mit (digitalem) Stress umgehen können als andere, sondern auch, welche Stressoren im Alltag wahrgenommen werden.
Digitale Stressoren in der Freizeit
Im Zuge der achtzehnmonatigen Studie wurde gemeinsam mit den Teilnehmer*innen in Gruppendiskussionen und Einzelinterviews erarbeitet, was digitaler Stress in der Freizeit ist und wie dieser wahrgenommen wird. Dabei hat sich gezeigt, dass die Wahrnehmung stressiger Situationen sehr unterschiedlich ist und u.a. die Kompetenzen im Umgang mit Medien, aber auch das Aufwachsen mit Medien (Mediensozialisation) und die Haltung gegenüber Medien einen Einfluss darauf haben. Nicht jeder empfindet die 20 neuen WhatsApp-Nachrichten in unterschiedlichen Kontexten gleich anstrengend. Nichtsdestotrotz lassen sich einige Stressoren, die von fast allen Teilnehmer*innen als belastend empfunden werden, zusammenfassen: Häufig wird Stress zum Beispiel durch digitalen Overload (=Überforderung), der schieren Informations- und Angebotsflut im Internet, oder durch das Gefühl ständig erreichbar sein zu müssen, ausgelöst. Auch den Erlebnisdruck und die Angst, etwas zu verpassen (im Englischen als FOMO – fear of missing out bezeichnet), daneben aber auch immer das Gefühl, seine Zeit zu verschwenden und technische Probleme kennen viele im Umgang mit digitalen Medien und Technologien. Besonders die Jüngeren berichten zudem von Stress, der durch das Nutzungsverhalten anderer bzw. den sozialen Druck, bestimmte Medien nutzen zu müssen ausgelöst wird. Die Studienteilnehmer*innen, die soziale Medien verwenden, beschreiben, dass auch die Kommentare und Diskussionen der eigenen Posts, sowie ausufernde Gruppenchats sie stressen.
Viele der von den Befragten genannten Stressauslöser finden sich so ähnlich auch im Arbeitskontext wieder, insbesondere nicht-funktionierende Technik, das Gefühl immer erreichbar zu sein und das digitale Nutzungsverhalten der Kolleg*innen. Ein Stressor kann also sowohl im Arbeits- als auch im Privatleben auftreten. Diese Umstand zeigt, dass gerade bei digitalen Medien die Trennung zwischen Arbeit und Freizeit schwierig ist, auch weil die Stresswahrnehmung von der Person selbst und deren Kompetenzen im Umgang mit Medien abhängt. Auch spielen die Rahmenbedingungen und die potenziell möglichen Bewältigungsstrategien eine Rolle.
Technische und nicht-technische Bewältigungsstrategien
Das Teilprojekt A02 hat im Zuge seiner Studie auch verschiedene Bewältigungsstrategien untersucht. Gemeinsam mit den Teilnehmer*innen wurden verschiedene Bewältigungsstrategien diskutiert und getestet. Dazu durften sich diese eine Strategie auswählen, welche sie für zwei Wochen testen und ein Tagebuch über ihre Erfahrungen führen.
Zur Auswahl standen sowohl technische als auch nicht-technische Copingstrategien. Die nicht-technischen Strategien zielten dabei auf die Reduzierung der Medienzeit ab, in dem entweder aktive Zeiten ohne Medien (beispielsweise bei einem Spaziergang) oder auch feste Nutzungszeiten (erst nach dem Frühstück das Smartphone anzuschalten) etabliert werden. Bei technischen Bewältigungsstrategien wird das Gerät selbst als Helfer im Umgang mit digitalem Stress genutzt. Zur Auswahl standen hier zum Beispiel Apps zur Stressreduzierung wie Tracking-, Blocking- und Reward-Apps, aber auch Anwendungen, die die Medienkompetenz stärken oder generell Anspannung reduzieren können, wie etwa Meditationsapps.
Die Ergebnisse zeigen deutlich, dass je nach Person sowohl die technischen wie auch die nicht-technischen Strategien einen positiven Einfluss auf das Stresslevel besitzen und sogar digitalen Stress aktiv reduzieren können. Der Erfolg der Strategien ist dabei von der eigenen Einstellung gegenüber der gewählten Strategie, dem eigenen Medienrepertoire und der persönlichen technischen und digitalen Kompetenzen abhängig. Wen beispielsweise die Nutzung des Smartphones selbst stresst, für den sind die technischen Möglichkeiten vermutlich keine gute Lösung. Dagegen gelingt es Personen, die gerne am Smartphone spielen, sich mit Reward-Apps (die die Nichtnutzung des Handys belohnen) medienfreie Pausen zu schaffen. Hier muss jede*r individuell entscheiden, was er ausprobieren möchte und die für sich geeignete Strategie finden. Besonders wichtig ist dabei die Reflexion des eigenen Umgangs mit Medien und Technologien. Brauche ich den Griff zum Smartphone direkt nach dem Aufwachen wirklich oder reicht dies nach dem Frühstück. Denn der Vorteil davon liegt klar auf der Hand – die stressauslösenden Nachfragen von Freunden kann ich sicher besser bewältigen, wenn ich richtig wach bin. Sich mit dem eigenen Medienhandeln und auch den individuellen Stärken und Schwächen im Medienumgang auseinander zu setzen, hilft nicht nur den eigenen Stress bewusster wahrzunehmen und bereits gute Strategien zu verstärken, sondern auch zu erkennen, wo der digitale Stress in der Freizeit entsteht und was man dagegen tun könnte.
Empirische Untersuchungen sollten an Relevanz gewinnen
Mit Blick auf die Ergebnisse zeigt sich: Digitaler Stress ist kein einheitliches Konzept, sondern sollte eher als Phänomen verstanden werden. Jede*r kennt und nutzt den Begriff, aber er ist schwer greifbar, denn digitaler Stress bedeutet für jeden Menschen etwas anderes. Eine empirische Untersuchung wie im Teilprojekt A02 ermöglicht es, all die verschiedenen subjektives Empfinden und Wahrnehmen zu sammeln, um herauszufinden, welche individuellen Faktoren für digitalen Stress relevant sind. Dies kann dann sowohl an die Entwickler*innen von Apps zurückgespielt werden, dient aber auch dazu, Medienkompetenzen und Strategien in Umgang mit Medien und Stress zu stärken. Gerade der Fokus auf die Freizeit zeigt deutlich, dass digitaler Stress kein reines Arbeitsproblem ist, sondern auch im Alltag neue Herausforderungen entstehen.
Das Wichtigste auf einen Blick
- Digitaler Stress beschränkt sich nicht nur auf den Arbeitsalltag, auch in der Freizeit oder generell im Medienalltag gibt es digitale Stressoren. Hier zeigt sich deutlich, dass die Mediengewohnheiten des Einzelnen und dessen Kompetenz im Umgang eine wesentliche Rolle spielen.
- Die Reduzierung oder Verhinderung von digitalem Stress kann durch nicht-technische, aber auch durch technische Bewältigungsstrategien gelingen. Hier sollte man möglichst offen sein und die verschiedenen Optionen eine Zeit lang ausprobieren und schauen, ob der eigene Stress weniger wird. Eine Paradelösung gibt es hier leider nicht.
- Der wichtigste Schritt zur Wahrnehmung von und dem Umgang mit digitalem Stress ist die Auseinandersetzung mit der eigenen Mediennutzung. So wird recht schnell deutlich, wo die individuellen Stressquellen liegen und wie sich diese reduzieren lassen. Hier sollte man sich für seine eigenen Bedürfnisse stark machen und auch schauen, ob man bei Mitmenschen unnötig digitalen Stress auslöst.
Autorin: Theresa Aumüller