Was erfahren wir aus den Medien über digitalen Stress?
Laptop, Smartphone, Smartwatch sowie viele andere technische Entwicklungen sind mittlerweile fester Bestandteil unseres Alltags. Im Idealfall erleichtern sie unser Leben, machen uns neue Informationen zugänglich und verbinden uns mit anderen Menschen. Jedoch können digitale Medien auch zum Problem werden, wenn Menschen die Kontrolle über sie verlieren. Das passiert, wenn ihre Medienkompetenz zur adäquaten Nutzung nicht ausreicht, sie einer Mediensucht verfallen oder wenn sie nicht in der Lage sind, den ganzen Ansprüchen, die von außen über Digitalmedien an sie herangetragen werden, Herr zu werden. Digitale Medien sind inzwischen omnipräsent – und der Journalismus greift das Thema „digitale Medien“, aber auch „digitale Belastungen“ regelmäßig auf. Die Untersuchung dieser Berichterstattung über digitalen Stress hat sich das Teilprojekt A03 zur Aufgabe gemacht. Die Muster innerhalb der Medienberichterstattung wurden zuerst mit einer explorativen qualitativen Inhaltsanalyse deutschsprachiger Print- und Online-Beiträge und schließlich mit einer großen quantitativen Inhaltsanalyse der deutschen Printberichterstattung seit dem Jahr 2000 offengelegt.
Die mediale Berichterstattung über digitalen Stress
Digitaler Stress mit seinen Ursachen und Folgen ist ein beliebtes Medienthema und dabei werden unterschiedliche Kontexte beleuchtet. Allerdings verwendet die Berichterstattung den Begriff „digitaler Stress“ eher selten, wenn sie Stressphänomene beschreibt, die mit der Nutzung digitaler Medien in Verbindung stehen. In der Medienberichterstattung wird insbesondere die Entgrenzung von Arbeits- und Privatleben problematisiert und dabei steht primär die Nutzung des Smartphones im Fokus. Kritisiert wird v.a. die ständige Erreichbarkeit im Arbeits- wie Privatleben. Aber auch der Druck, schnell auf Nachrichten reagieren zu müssen, und die zahlreichen Unterbrechungen und Ablenkungen durch das Smartphone werden in der Berichterstattung als besonders belastend herausgehoben. Oft vermischt sich diese Kritik an der Smartphone-Nutzung mit Kritik an der modernen Leistungsgesellschaft, die, so die Berichterstattung, das Leben insgesamt stark beschleunigt habe und das soziale Leben abseits des digitalen Raumes gefährde.
Weiterhin bringt die Medienberichterstattung die permanente Nutzung des Smartphones mit verschiedenartigen Suchtphänomenen in Verbindung wie beispielsweise Computerspielsucht oder Social-Media-Sucht. Betroffene, die zitiert werden, berichten oft von digitalem Stress und nervösen Zuständen, wenn sie ohne Smartphone das Haus verlassen, andere wiederum thematisieren ihre ständige Suche nach Anerkennung in den Sozialen Medien. Letzteres geht, so der Berichterstattungstenor, oft einher mit dem Streben nach perfekter Selbstdarstellung, wobei der Vergleich der eigenen sozialen Realität mit den idealisierenden Selbstdarstellungen anderer Social-Media-Nutzer*innen oft negativ ausfalle. D.h. es wird der Druck des sozialen Vergleichs thematisiert, wobei Soziale Medien als Einfallstor für Bodyshaming und Cybermobbing gegen verletzliche Personen kritisiert werden.
Dennoch ist die Nutzung digitaler Medien auch mit positiven Aspekten verbunden. Die verbesserten Kommunikationsmöglichkeiten mit Freunden und Familie, unabhängig von Ort und Zeit, werden ebenso hervorgehoben sowie das Potenzial von Apps, die den Alltag in vielerlei Hinsicht erleichtern.
Stressfolgeerkrankungen im medialen Diskurs
Wird digitaler Stress als Medienthema aufgegriffen, dann geht es meist auch um dessen Folgen, d.h. vielfältige körperliche und psychische Konsequenzen sowie handfeste Stressfolgeerkrankungen. Die viel thematisierte Entgrenzung von Arbeits- und Privatleben wird als Hauptursache oder wichtigster Stressor dargestellt. Als körperliche Folgen werden u.a. Kopfschmerzen, Unruhezustände und Schlaflosigkeit. Als psychische Folgen werden v.a. Depressionen und das Burnout-Syndrom beschrieben, wobei der Burnout im medialen Diskurs eine positivere Bewertung als die Depressionen erhält. Bezeichnend ist, dass die Berichterstattung die Ursachen für einen Burnout seltener bei der betroffenen Person sucht, sondern die hohen Erwartungen und Ansprüchen der Leistungsgesellschaft dafür verantwortlich macht. Im Kontext der Sozialen Medien werden wiederum häufig die Folgen von Cybermobbing hervorgehoben, welche in Schulabbruch, sozialem Rückzug, Depression, Suizidgedanken und psychiatrischen Behandlungen resultieren können.
Coping-Strategien im medialen Diskurs
Darüber hinaus finden sogenannte Coping-Strategien also Strategien zur Bewältigung von digitalem Stress, viel Aufmerksamkeit in den Medien. Die thematisierten Strategien zielen darauf, dass Betroffene wieder ein Gefühl für sich selbst und die analoge Welt entwickeln. Beliebtes Thema war Ende der 2010er Jahre „Digital Detox“, also eine Art „digitale Entgiftung“, bei der bewusst auf die Nutzung digitaler Medien und Technologien verzichtet wird. Jedoch ist diese Form des digitalen Fastens für viele Menschen weder alltagstauglich noch umsetzbar. Daher wird in der Berichterstattung v.a. der bewusste Umgang mit digitalen Medien empfohlen. Konkret wird dann über schulische oder betriebliche Fördermaßnahmen berichtet, die Medienkompetenz erhöhen sollen. Ebenso wird geraten, das eigene Nutzungsverhalten zu reflektieren und zu verändern – z.B. wird empfohlen, Smartphone-freie Routinen zu entwickeln oder Push-Benachrichtigungen zu deaktivieren.
Die Darstellung von digital gestressten Personen in den Medien
Auffallend ist, dass im Zentrum der Berichterstattung über digitalen Stress oftmals junge Menschen aus der gehobenen Mittelschicht stehen, während ältere Menschen, Personen mit Migrationshintergrund oder aus weniger privilegieren Gesellschaftsschichten deutlich unterrepräsentiert sind. Die jeweilige Stressfolge, die ins Zentrum eines Medienbeitrags gestellt wird, bestimmt häufig, mit welcher Betroffenengruppe er illustriert wird. Junge Frauen beispielsweise werden öfter als Betroffene von Social-Media-Sucht und Bodyshaming dargestellt. Alte Stereotype blitzen auch auf, wenn Frauen als eher passive Wesen gezeichnet werden, die aufgrund ihrer Doppelbelastung durch Familien- und Arbeitsleben in die Depression rutschen. Bei Männern wird hingegen stärker auf ihre hohe Stressbelastung und große Verantwortung im Beruf hingewiesen, infolgedessen sie einen Burnout (und keine weiblich konnotierte Depression) erlitten hätten.
Das Wichtigste auf einen Blick
- Medien berichten über digitalen Stress in unterschiedlichen privaten wie beruflichen Lebenskontexten. Besonders häufig konzentriert sich die Medienberichterstattung auf die Smartphone -Nutzung und kritisiert die damit verbundene ständige Erreichbarkeit, die die Entgrenzung von Arbeits- und Privatleben fördert.
- Die Berichterstattung über digitalen Stress berücksichtigt sowohl körperliche als auch psychische Folgen für die Gesundheit. Sie sucht die Ursachen für Stressfolgeerkrankungen (v.a. Burnout) nicht nur beim Betroffenen selbst, sondern kritisiert auch die Ansprüche, die eine moderne Leistungsgesellschaft an den Einzelnen stellt.
- Medien haben sich zeitweise viel mit Digital Detox als Coping-Strategie bei digitalem Stress befasst, raten mittlerweile aber v.a. zur Reflexion des eigenen Nutzungsverhaltens und zu einer bewussteren Nutzung digitaler Medien.
- In Abhängigkeit von der jeweiligen Stressfolgeerkrankung und dem Geschlecht der betroffenen Person ergeben sich markante geschlechterstereotype Muster in der Berichterstattung. Das „schöne Geschlecht“ wird zum einen mit Bodyshaming in Verbindung gebracht, zum anderen wird für die „Frauenkrankheit Depression“ die Überforderung mit paralleler Familien- und Erwerbsarbeit verantwortlich gemacht. Männer hingegen werden vermehrt als Burnout-Betroffene dargestellt, die aufgrund ihres stressigen Berufsalltags und ihrer großen Verantwortung erkrankt sind.
Autorin: Jasmin Rother