Kann KI Stress erkennen?
Künstliche Intelligenz, kurz KI, ist bereits in vielen Bereichen unseres Lebens ein fester Bestandteil: Wenn Luca morgens beim Frühstück die tägliche Wetterprognose auf dem Smartphone abruft, ist das bereits der erste Kontakt des Tages mit KI. Wenn Luca sich anschließend auf den Weg zur Arbeit macht und eine Baustelle umfahren muss, nutzt die Navigationsapp KI, um die bestmögliche Route zu berechnen. Im Büro filtert KI die Spam-Nachrichten aus Lucas E-Mail-Postfach und am Abend schließlich ist es KI, die die Serien- und Filmempfehlungen auf den von Luca genutzten Streamingdiensten generiert. Auch in der Sprach- und Bilderkennung, der Landwirtschaft sowie der Medizintechnik wird KI bereits erfolgreich eingesetzt. Künstliche Intelligenz ist ein Teilgebiet der Informatik und ahmt menschliche kognitive Fähigkeiten nach. Durch die aus Datensätzen gewonnenen Informationen, die an den in einer Technologie oder Maschine eingesetzten Algorithmus ‛gefüttert’ werden, sowie der Orientierung an vorgegebenen Gütekriterien erlernt dieser selbstständig eine Aufgabe zu erfüllen. Die Einsatzgebiete sind entsprechend vielfältig und können damit auch für die Stressforschung interessant und relevant sein. Die Forscher*innen des Teilprojekts D09 haben sich daher der Frage gewidmet, ob KI Stress erkennen kann.
Von Emotionen zu Stress
Ursprünglich zielte das Teilprojekt darauf ab, KI gerade für Domänen-Experten, also Spezialist*innen bestimmter Fachgebiete, wie beispielsweise Psychologen, erklärbarer zu machen – etwa wie es durch trainierte Algorithmen zur Emotionserkennung kommt. Darauf aufbauend entwickelten bereits frühere Forscher*innen Stressmodelle, um zu untersuchen, ob KI auch Stress erkennen kann. (Digitaler) Stress ist zwar keine Emotion, aber auch bei diesem können die Betroffenen Reflexe, Verhaltensweisen oder biologische Reaktionen zeigen, die die Personen nicht bewusst wahrnehmen und steuern können, ähnlich den unbewussten Abläufen, die beim Ausdrücken von Gefühlen stattfinden. Wenn also ein Emotionsmodell entwickel- und einsetzbar ist, erscheint es naheliegend, dass auch dasselbe für die Stresserkennung möglich ist. Der Anspruch der Forscher*innen war es, dafür ein Modell zu entwickeln, welches gut generalisierbar ist. Hierfür war eine umfangreiche und intensive Datensatzanalyse und der Aufbau einer guten Datenbasis entscheidend. Bei ihren Analysen und Recherchen stellten die Forscher*innen fest, dass es bisher zahlreiche Datensätze zur Erforschung von Stress gibt. Allerdings beruhen diese mehrheitlich auf Fragebögen, welche immer nur eine Momentaufnahme zu einer Aussage oder einem Bild darstellen. Für ihre eigene Studie setzten die Forscher*innen des Teilprojekts D09 daher nicht nur einen Fragebogen ein, sondern ergänzten sie mit Biomarkermessungen, um den Stress der Proband*innen während eines Jobinterviews zu messen.
Kombination verschiedener Modalitäten zur Stresserkennung
Die Teilnehmer*innen mussten sich also einem fiktiven Jobinterview unterziehen und wurden hierbei mit Hilfe von Videoaufnahmen beobachtet, um ihre unbewussten Verhaltensweisen und Reaktionen zu erfassen. Neben einem Eye-Ttracker zur Dokumentation der Pupillenerweiterung kamen weitere Modalitäten zur Anwendung: So wurden u.a. auch Herzschlag, Puls, Hautleitwert, der Cortisolwert im Speichel, so wie Mimik und Gestik der Teilnehmer*innen erfasst, um einen möglichst allumfänglichen Datensatz zu erstellen. Die gewonnenen Daten wurden an die KI weitergegeben. Hierbei zeigte sich, dass eine entsprechend ‛gefütterte’ KI sehr gut in der Lage ist, Stress zu erkennen. Auch wenn es aktuell noch keine einhundertprozentige Verlässlichkeit gibt, lassen die Ergebnisse der Studie darauf schließen, dass KI durch das Trainieren mit weiteren generalisierten Datensätzen durchaus das Potential hat, dieses Niveau nahezu zu erreichen. Der Stressdatensatz von Teilprojekt D09 ist daher ein wertvoller Beitrag zur Erforschung von Stress. Die Wissenschaftler*innen plädieren dafür, für eine effektivere und tiefere Erforschung von (digitalem) Stress auf umfänglichere Datensätze zu bauen und ‛herkömmliche’ Forschungsprojekte weiter mit dem Einsatz von KI zu verbinden, um das Phänomen Stress adäquat zu durchdringen und die Situation von Betroffenen zu verbessern. Ethische Maßnahmen und Leitwerte sollten dabei jedoch immer Berücksichtigung finden.
Das Wichtigste auf einen Blick
- Ja, KI kann Stress erkennen. Auch wenn aktuell noch keine 100%-ige Verlässlichkeit gegeben ist, hat KI das Potential noch besser auf die Stresserkennung trainiert zu werden.
- Dafür müssen mehr generalisierte Datensätze er- und bereitgestellt werden.
- KI ist hierbei sehr hilfreich, da mit ihr unbewusste Reaktionen objektiv und genau erfasst und ausgewertet werden können und so effizient in die weitere Erforschung von (digitalem) Stress einfließen können.
Autorin: Theresa Aumüller