Wie können wir Technologien gestalten, um (digitalen) Stress zu reduzieren?
Wenn wir mit Stress konfrontiert werden, sei es im analogen oder im digitalen Raum, haben wir die Möglichkeit, unterschiedlich darauf zu reagieren. Wir können zum Beispiel versuchen, Maßnahmen zur Regulierung des Stressausmaßes zu ergreifen oder wir versuchen, uns einen anderen Umgang mit Stress anzueignen. Gerade bei Letzterem können uns auch digitale Anwendungen, wie Gesundheitsapps, unterstützen. Allerdings werden viele davon zu kurz und nicht intensiv genug von Nutzer*innen verwendet, um klinisch bedeutsame Ergebnisse zu erzielen. Dies liegt nicht zwangsläufig an einer niedrigen Nutzer- und Bedienfreundlichkeit, sondern häufig an einem reizlosen Benutzererlebnis: Viele Gesundheitsapps beschränken sich auf das Erheben physischer Parameter per Selbstbericht und das Anzeigen informativer Texte. Für ihre Nutzer*innen ist das aber eine eher trockene Angelegenheit und die Lust, eine App langfristig und eingehend zu verwenden, geht schnell verloren. Das Teilprojekt D11 hat sich dieser Problematik gewidmet und unter anderem untersucht, wie Technologien gestaltet werden können, um die Nutzungsdauer zu steigern, die Effektivität der Technologie in Bezug auf die Stressreduktion zu erhöhen und so Nutzer*innen bei der Reduktion von digitalem Stress zu unterstützen.
Rückgriff auf ein Paradigma aus der kognitiven Verhaltenstherapie
Die Forscher*innen haben für ihre Studie eine App-Intervention entwickelt, die auf dem Approach-Avoidance-Modification-Training (AAMT) aufbaut und um gamifizierte Elemente, also spielerische Bestandteile, erweitert wurde. Beim AAMT, welches ein bestehendes Paradigma aus der kognitiven Verhaltenstherapie ist, geht es darum, nützliche und schädliche Stimuli mit annehmenden oder ablehnenden Handlungen zu koppeln, damit sich die eigenen Bewertungen der Stimuli verändern und so ein funktionalerer Umgang mit verschiedenen Störungen erreicht wird. Denn die eigenen, subjektiven Einstellungen und Überzeugungen sind zentral, wenn es um die Entstehung bzw. das Vermeiden psychischer Störungen geht. Ursprünglich entstand das AAMT im Suchtkontext: Alkoholkranke trainierten damit eine veränderte Einstellung zu alkoholhaltigen Getränken und erzielten so eine geringere Rückfallquote nach Abstinenz.
Weiterentwicklung des AAMTs
Für ihre Studie haben die Wissenschaftler*innen des Teilprojekts D11 im Rahmen ihrer App-Intervention das AAMT innovativ modifiziert und für den Umgang mit (digitalem) Stress angepasst: Die Studienteilnehmer*innen haben auf ihren Smartphones Aussagen angezeigt bekommen, die in Zusammenhang mit Stress stehen und sollten entscheiden, ob diese jeweils gut oder schlecht für den Umgang mit Stress sind. Dadurch wurden sie angehalten, ihre eigenen Einstellungen, welche die Stresswahrnehmung beeinflussen, zu überdenken. Wenn der Satz als schlecht, also als stressfördernd, eingestuft wurde, galt es, ihn per Swipe-Bewegung nach oben von sich wegzuwischen. Einen guten, also zur Stressreduktion beitragenden Satz, mussten die Proband*innen nach unten wischen und damit zu sich her. Es kam also entweder zu einer aktiv ablehnenden oder aktiv annehmenden Reaktion. Als stressfördernde Sätze kamen beispielsweise Aussagen wie „Ich muss immer alles perfekt machen“ zum Einsatz, während gute Sätze lauteten „Es reicht, wenn ich 80 Prozent gebe“ oder „Ich darf auch Fehler machen“. Die Wischbewegungen der Teilnehmer*innen wurden durch Zoom-Effekte kombiniert: Weggeschobene Sätze wurden kleiner, herangezogene größer, so dass auch hier spielerisch die eigene Bewertung visualisiert wurde. Um die Reaktionen weiter zu verstärken, baten die Wissenschaftler*innen die Proband*innen auch um eine emotionale Untermalung der schlechten Sätze. So sollten sie sowohl positive Emotionen (wie Freude, Entspannung, Liebe oder Dankbarkeit) als auch negative (wie Ärger, Traurigkeit, Angst oder Ekel) mimisch und gestisch ausdrücken, wenn sie diese zu sich hinzogen bzw. von sich wegwischten.
Emotionen unterstützen eine Einstellungsveränderung
Eine Woche nach Ende der Studie füllten die Teilnehmer*innen einen standardisierten Fragebogen aus, in welchem sie ihren wahrgenommenen Stress erneut bewerten mussten. Die Ergebnisse zeigen: Der wahrgenommene Stress war bei den Proband*innen nach dem AAMT bei fast allen Emotionsverknüpfungen geringer als davor. Allerdings zeigen sie auch, dass von diesen Ärger und Traurigkeit am wirksamsten waren, d. h. hier wurde am effektivsten eine Veränderung der persönlichen Überzeugungen bewirkt. Angst hingegen zeigte keine Effekte, während Ekel im Mittelfeld lag. Die Forscher*innen werten die Ergebnisse als ein Indiz, dass der Einsatz eines emotionsverknüpften AAMT hilfreich ist, wenn es um die Änderung eigener stressfördernder Einstellungen geht und das Potential hat, Betroffene beim Erlernen eines funktionaleren Umgangs mit Stress zu unterstützen. Durch die Integration spielerischer Elemente in die App und das bewusste Hervorrufen einer bestimmten emotionalen Reaktion können Nutzer*innen gezielt dazu animiert werden, sich aktiv von stressfördernden Haltungen zu distanzieren und ihre bisherigen Überzeugungen zu verändern. Sie können also ihre eigene Wahrnehmung von (digitalem) Stress erkunden und in eine funktionalere Richtung lenken.
Gamifizierung unterstützt die Stressreduktion
Digitale Anwendungen können also mit der richtigen Gestaltung, zum Beispiel dem Einbezug von Emotionen und damit einer stärkeren Aktivierung von Nutzer*innen, dazu beitragen, (digitalen) Stress zu reduzieren. Sie können ein Tool zur Selbstmotivation sein, an den eigenen negativen Überzeugungen zu arbeiten. Aktuell arbeiten die Forscher*innen an einer Automatisierung der App und erforschen im Rahmen weiterführender Studien, ob es noch weitere geeignete Emotionen gibt, die effizient mit dem AAMT verknüpft werden können. Damit leisten sie auch einen wichtigen Beitrag zur wissenschaftlichen Weiterentwicklung der Psychotherapie. Denn digitale Technologien bilden einen immer größer werdenden Teil unseres Lebens und bieten angesichts von Versorgungsengpässen bei Therapieplätzen die Chance, die Psychotherapie zu unterstützen. Ansprechend gestaltete, gut zugängliche Apps könnten dabei helfen, therapeutische Versorgungslücken zu überbrücken, indem sie beispielsweise als ein Erstangebot für Betroffene fungieren. Auch ein Einsatz im Feld (digitaler) Stress am Arbeitsplatz wäre denkbar, um durch eine Veränderung der eigenen stressfördernden Wahrnehmungen Stresserkrankungen bei Arbeitnehmer*innen vorzubeugen. Das Teilprojekt D11 zeigt, dass durch weiterführende Forschung in diesem Bereich ein Angebot an wissenschaftlich basierten und gestützten digitalen Anwendungen geschaffen werden könnte, bei welchem Nutzer*innen die Gewissheit hätten, sinnvolle, nützliche und wirksame Tools zur Hand zu haben – und sich so auch bei der Suche nach dem passenden digitalen Programm im Dschungel der Gesundheitsapps besser zurechtfinden könnten.
Das Wichtigste auf einen Blick
- Eine hohe Nutzer- und Bedienfreundlichkeit verlängern die Nutzung von Gesundheitsapps und erhöhen so auch ihre Erfolge.
- Eine ansprechende, reizvolle Gestaltung von digitalen Technologien, die Emotionen der Nutzer*innen berücksichtigen, unterstützt und intensiviert diese Effekte zusätzlich.
- Gut gestaltete, leicht zugängliche und wissenschaftlich fundierte Apps könnten angesichts von Versorgungsengpässen bei Therapieplätzen als ein Überbrückungsangebot fungieren und Betroffenen in einem ersten Schritt dabei helfen, ihren (digitalen) Stress zu reduzieren.
Autorin: Theresa Aumüller