Welchen Einfluss hatte die Corona-Pandemie auf digitalen Stress?
Die Corona-Pandemie stellte für die bundesdeutsche Gesellschaft eine Zäsur dar: Das öffentliche Leben stand still, Firmen stellten den regulären Betrieb ein, entließen Beschäftigte und verlagerten ihre Arbeit ins Homeoffice. Die mit der Pandemie verbundenen Kontaktbeschränkungen erhöhten die Bedeutung digitaler Kommunikationsmedien und führten zu einer Entgrenzung von Arbeits- und Privatleben im Homeoffice. In dieser besonderen Situation führte das Teilprojekt A03 eine Interviewstudie durch, die die Folgen der Corona-Pandemie für die Wahrnehmung von digitalem Stress untersuchte. Die Ergebnisse zeigen, dass das Stressempfinden in Pandemiezeiten sowohl von individuellen, aber auch sozialen und technischen Faktoren abhängig ist.
Belastungsfaktoren während der Corona-Pandemie
Während der Corona-Pandemie prägten sowohl analoge als auch digitale Stressoren den Alltag vieler Menschen und verstärkten die wahrgenommenen Belastungen. Den Hintergrund für Stresserfahrungen bildete dabei – als analoger langfristiger Stressor – die Corona-Pandemie selbst. Dies führte dazu, dass Menschen weniger Ressourcen zur Verfügung standen, um anderweitige Stresssituationen zu bewältigen. Somit wurden auch digitale Stressoren schneller als Belastung empfunden. Infolge der Kontaktbeschränkungen stiegen zudem Nutzung und auch Abhängigkeit von digitalen Medien rasant an – und damit auch der wahrgenommene digitale Stress. Allerdings muss hier der jeweilige Kontext genau betrachtet werden, denn es zeigen sich große Unterschiede in der wahrgenommenen Stressbelastung, wenn zwischen privater und beruflicher Mediennutzung unterschieden wird.
Das Homeoffice als Stressor
Digitaler Stress in Pandemiezeiten scheint fast ausschließlich im Arbeitskontext aufgetreten zu sein. Die Verlagerung der Arbeit ins Homeoffice war für viele Beschäftigte eine neue und v.a. auch stressige Erfahrung. Zuhause ließen sich die Grenzen zwischen Arbeits- und Privatleben nur schwer aufrechterhalten und Arbeitnehmer*innen arbeiteten zunehmend außerhalb ihrer regulären Arbeitszeiten. Die Stressbelastung wurde durch mehrere Faktoren begünstigt:
1. Fehlende technische Ausstattung: Viele Unternehmen waren nicht ausreichend darauf vorbereitet, ihre Beschäftigten ins Homeoffice zu schicken, so dass viele Arbeitnehmer*innen improvisieren, das nötige technische Equipment zunächst selbst besorgen und v.a. auch einrichten mussten.
2. Infrastruktur: Besonders in größeren Haushalten, in denen es zu einer verstärkten Nutzung des Internets kam, beispielsweise durch zeitgleiches Homeschooling und Homeoffice, traten Probleme mit der Internetverbindung vermehrt auf und erschwerten das Arbeiten im Homeoffice (techno-unreliability).
3. Mangelnde Medienkompetenz: Weitere Stresssituationen entstanden, wenn die Beschäftigten mit der Einrichtung ihrer digitalen Geräte überfordert waren (techno-complexity). In den Interviews erzählte ein Großteil der Teilnehmer*innen, dass dies „Panik“ und „Stress“ bei ihnen auslöste.
4. Zunahme an digitaler Kommunikation: Durch die Social-Distancing-Maßnahmen verlagerte sich die alltägliche Bürokommunikation fast ausschließlich auf digitale Kanäle (techno-overload). Dies erschwerte den Austausch und führte oftmals zu Verzögerungen in den Arbeitsprozessen. Zur Klärung spontan aufkommender Fragen mussten oftmals längliche E-Mails hin- und hergeschrieben werden. Damit ging der Druck einher, auf eingehende Nachrichten möglichst sofort zu antworten. Um das Fehlen der analogen Bürokommunikation zu kompensieren, versuchten Beschäftigte zumindest digital permanent erreichbar zu sein. Doch hatte diese permanente Erreichbarkeit via Digitalmedien (techno-invasion) auch ihre Schattenseiten. Sie wurde oftmals als Druck und als Eindringen in die Privatsphäre empfunden. Diese Wahrnehmung verstärkte sich nochmals, wenn dieselben digitalen Geräte für Privat- und Arbeitsleben genutzt wurden.
Folglich erlebten die Betroffenen wegen der erhöhten Bildschirmzeit Erschöpfungssymptome wie Konzentrationsschwierigkeiten, Kopfschmerzen und Augenprobleme.
Doppeldosierung: Digitaler plus analoger Stress
Für Menschen, die neben dem Beruf noch zusätzlichen privaten Verpflichtungen nachkommen mussten, scheint das Homeoffice eine besonders stressige Erfahrung gewesen zu sein. Insbesondere, wenn parallel zur digitalen Berufsarbeit „Care-Arbeit“ geleistet werden musste – konkret: Kinder zu betreuen waren –, wurde dies als enorm stressige Doppelbelastung wahrgenommen. Darüber klagten in unserer Interviewstudie fast ausschließlich Mütter, die die Kinderbetreuung übernommen hatten und sich in alten Rollenmuster zurückversetzt fühlten. Auch unsere Studie bestätigte damit die Retraditionalisierung der Frauenrolle in der Pandemie.
Digitale Medien als „Retter“ des sozialen Lebens
Anders als im Berufsbereich wurden digitale Medien im Privatbereich nicht als Belastung, sondern als hilfreiche Alternative zur Aufrechterhaltung sozialer Beziehungen angesehen. So wurden alte Freundschaften wiederbelebt, Online-Spiele mit befreundeten Haushalten gespielt, virtuelle Bars besucht oder Videotelefonate mit der Familie geführt. Vor allem Alleinlebende sahen darin eine Möglichkeit, trotz Kontaktbeschränkungen am sozialen Leben teilzunehmen.
Das Wichtigste auf einen Blick
- Ganz am Anfang der Pandemie war die ungewohnte Arbeit im Homeoffice mit digitalem Stress verbunden, wenn es an technischer Ausrüstung und der Kompetenz, die Digitaltechnologien korrekt einzurichten, fehlte.
- Das Verschwimmen der Grenzen zwischen Berufs- und Privatleben im Homeoffice sowie das Gefühl, über digitale Medien für den Arbeitgeber ständig erreichbar zu sein, wurden als besonders stressig wahrgenommen.
- Digitale und analoge Stressoren können Hand in Hand gehen und die wahrgenommene Stressbelastung verstärken – v.a. wenn im Homeoffice nicht nur digitale Berufsarbeit zu leisten war, sondern parallel Care-Arbeit.
- Im Privatleben wurden digitale Medien äußerst positiv bewertet, weil sie es ermöglichten, trotz Kontaktbeschränkungen Sozialkontakte aufrechtzuerhalten.
Autorin: Jasmin Rother