Welche gesundheitlichen Folgen können durch digitalen Stress entstehen?
Digitale Technologien als Stressquelle im Alltag und Arbeitskontext waren lange Zeit kein Bestandteil der Stressforschung. Dies änderte sich zunehmend mit dem Siegeszug der Digitalisierung: Digitale Technologien sind in fast allen Lebensbereichen, vor allem im beruflichen Umfeld, allgegenwärtig geworden und können unter bestimmten Umständen Effekte auf die körperliche und psychische Gesundheit haben.
Die Teilprojekte B04 und B05 haben sich mit biologischen Reaktionen im Körper auf digitale Stressoren und gesundheitlichen Folgen auseinandergesetzt. Der Schwerpunkt lag dabei auf Multitasking und Arbeitsunterbrechungen, also typischen Stressoren aus der Arbeitswelt. Die Studienergebnisse zeigen, dass diese digitalen Stressoren vor allem zu einer Aktivierung des Sympathikus führen. Dies äußert sich unter anderem durch einen Anstieg der Herzfrequenz und des Blutdrucks. Die biologischen Stressreaktionen können, wenn sie langfristig auftreten, ein Gesundheitsrisiko darstellen. So könnte auch die in den Studien der Teilprojekte gefundenen Aktivierung des Sympathischen Nervensystems in Multitasking-Situationen die Entstehung von chronischen Erkrankungen (z. B. Bluthochdruck) begünstigen (Becker et al. under revision). Um dies abschließend zu klären, ist allerdings noch weitere Forschung notwendig.
Folgen für die körperliche und psychische Gesundheit
Im Rahmen einer Längsschnittstudie zu Technostress bei Beschäftigten eines Universitätsklinikums haben sich die Teilprojekte B04 und B05 auch mit den längerfristigen gesundheitlichen Folgen von digitalem Stress am Arbeitsplatz befasst. Nicht erst seit der Corona-Pandemie gilt die Arbeit im Gesundheitswesen als besonders stressig und belastend. Aufgrund spezifischer Arbeitsbelastungen wie z.B. Zeitdruck, körperliche Anstrengung und emotionale Anforderungen in der Patientenversorgung birgt sie ohnehin maßgebliche Risiken für die psychische und körperliche Gesundheit von Beschäftigten. Innerhalb eines Jahres wurden verschiedene Messungen zu Biomarkern (C-reaktives Protein, Haar-Cortisol) durchgeführt und die Studienteilnehmenden füllten diverse Fragebögen zur individuellen Arbeitssituation, Gesundheit und Wohlbefinden aus. Hinsichtlich der Biomarker zeigten sich beispielsweise Veränderungen in den Cortisol-Leveln im Haar des Klinikpersonals im Zusammenhang mit digitalen Stressoren wie Arbeitsunterbrechungen. Längerfristige Veränderungen der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse mit Veränderungen in der Cortisol-Ausschüttung sind ein möglicher biologischer Mechanismus wie Stress „unter die Haut“ gehen und zu Krankheiten führen kann (Miller et al., 2007). Darüber hinaus wurde der Entzündungsmarker C-reaktives Protein gemessen. Ist dieses Protein im Blut erhöht, ohne dass eine körperliche Ursache (wie z. B. eine akute Erkältung) zugrunde liegt, spricht dies für eine stressbedingte Aktivierung dieses Teils des Immunsystems. Längerfristige unterschwellige Entzündungsprozesse im Körper sind an der Entstehung einiger schwerwiegender körperlicher und auch psychischer Erkrankungen beteiligt, wie z. B. Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs oder Depression. Insofern gibt die Messung von Entzündungsmarkern Aufschluss auf das Vorliegen möglicher längerfristiger Gesundheitsrisiken. In der genannten Studie konnten bisher keine Zusammenhänge von Technostress und Entzündungsprozessen gefunden werden. Es bedarf jedoch noch weiterer Forschung zu den Effekten von Stress am Arbeitsplatz, insbesondere digitaler Stress, auf das Entzündungssystem als ein weiteres zentrales Bindeglied zwischen Psyche und Körper.
Neben den physiologischen Effekten, welche chronischer digitaler Stress verursachen kann, entstehen durch die Digitalisierung auch Risiken für die psychische Gesundheit. Die Studienlage ist hierzu begrenzt, es gibt jedoch Hinweise für einen Zusammenhang mit Burnout (Dragano & Lunau, 2020). Gemäß WHO ist Burnout ein Syndrom, das auf chronischen Stress am Arbeitsplatz zurückzuführen ist, der nicht erfolgreich bewältigt wurde. In der Längsschnittstudie der Teilprojekte wurden bei den Klinik-Beschäftigten zentrale Burnout-Symptome untersucht, nämlich emotionale Erschöpfung, d.h. ein schwerer Energieverlust, und mentale Distanzierung, d.h. eine starke Abneigung und Widerwillen gegen die Arbeit, sowie psychosomatische Sekundärsymptome (z. B. Schlafprobleme oder Muskelschmerzen). Es konnte gezeigt werden, dass die digitalen Stressoren Überflutung und Komplexität mit den genannten Symptomen zusammenhingen.
Macht digitaler Stress also krank?
Die Studien der Teilprojekte B04 und B05 konnten erste Hinweise für Zusammenhänge zwischen digitalen Stressoren und psychischen Beschwerden (Burnout-Symptome) sowie akuten Stressreaktionen (Sympathisches Nervensystem) und chronischen physiologischen Veränderungen (Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse) finden. Allerdings ist die Anzahl der Studien derzeit begrenzt und weitere Forschung ist notwendig, um die Vor- und Nachteile von digitalen Technologien auf die psychische und körperliche Gesundheit genauer verstehen zu können. Ein gründliches und evidenzbasiertes Verständnis der Rolle von digitalem Stress für die psychische und körperliche Gesundheit von Beschäftigten ist unerlässlich, um wirksame Präventions- und Interventionsmaßnahmen am Arbeitsplatz zu entwickeln.
Das Wichtigste auf einen Blick:
- Die digitalen Stressoren Multitasking und Arbeitsunterbrechungen aktivieren das Sympathische Nervensystem, was langfristig ein Gesundheitsrisiko darstellen kann.
- Digitaler Stress kann auch psychische Gesundheitsfolgen haben, wie z. B. die Entstehung von Burnout begünstigen.
- Digitaler Stress kann langfristig krank machen und zu ernsthaften gesundheitlichen Erkrankungen führen. Die Forschung hierzu ist jedoch noch nicht ausgereift und es bedarf weiterer Untersuchungen, um die Zusammenhänge zwischen Stressbelastung und der Gesundheit zu verstehen.
Autorin: Jasmin Rother
Eigene Publikationen:
- Becker, L., Kaltenegger, H. C., Nowak, D., Weigl, M., & Rohleder, N. (2022). Physiological stress in response to multitasking and work interruptions: Study protocol. Plos one, 17(2), e0263785.
- Becker, L., Kaltenegger, H. C., Nowak, D., Rohleder, N., & Weigl, M. (2023). Differences in stress system (re-) activity between single and dual-or multitasking in healthy adults: a systematic review and meta-analysis. Health psychology review, 17(1), 78-103.
- Becker, L., Kaltenegger, H., Nowak, D., Weigl., M., & Rohleder, N. (under revision). Biological stress responses to multitasking and work interruptions: a randomized controlled trial, submitted to Psychoneuroendocrinology.
- Kaltenegger, H. C., Becker, L., Rohleder, N., Nowak, D., Quartucci, C., & Weigl, M. (2022). Associations between digital work stressors, burnout, and hair cortisol concentration: A prospective study [Poster Präsentation]. Vortrag auf der 52nd Annual Meeting of the ISPNE, 8.–10. Oktober 2022, Chicago, USA. 2022 Poster Trainee Recognition Awards
- Kaltenegger, H. C., Becker, L., Rohleder, N., Nowak, D., & Weigl, M. (2021). Associations of working conditions and chronic low-grade inflammation among employees: A systematic review and meta-analysis. Scandinavian Journal of Work, Environment & Health, 47(8), 565–581. https://doi.org/10.5271/sjweh.3982
- Kaltenegger, H. C., Becker, L., Rohleder, N., Nowak, D., Quartucci, C., & Weigl, M. (2023). Associations of technostressors at work with burnout symptoms and chronic low-grade inflammation: A cross-sectional analysis in hospital employees. International Archives of Occupational and Environmental Health, 1–18. https://doi.org/10.1007/s00420-023-01967-8
Fremde Literatur:
- Dragano, N. & Lunau, T. (2020). Technostress at work and mental health: concepts and research results. Current Opinion in Psychiatry, 33 (4),407-413. doi: 10.1097/YCO.0000000000000613
- Miller, G. E., Chen, E., & Zhou, E. S. (2007). If it goes up, must it come down? Chronic stress and the hypothalamic-pituitary-adrenocortical axis in humans. Psychological Bulletin, 133(1), 25–45. https://doi.org/10.1037/0033-2909.133.1.25
- World Health Organization. International statistical classification of diseases and related health problems 2019
- Kaltenegger, H. C., Becker, L., Rohleder, N., Nowak, D., Quartucci, C., & Weigl, M. (2023). Associations of technostressors at work with burnout symptoms and chronic low-grade inflammation: A cross-sectional analysis in hospital employees. International Archives of Occupational and Environmental Health, 1–18. https://doi.org/10.1007/s00420-023-01967-8
- Kaltenegger, H. C., Becker, L., Rohleder, N., Nowak, D., & Weigl, M. (2021). Associations of working conditions and chronic low-grade inflammation among employees: A systematic review and meta-analysis. Scandinavian Journal of Work, Environment & Health, 47(8), 565–581. https://doi.org/10.5271/sjweh.3982
- Becker, L & Rohleder, N. (2020). Ein Computer ist kein Löwe, oder etwa doch?. 30.03.2020. Online verfügbar unter: https://scilogs.spektrum.de/gesund-digital-leben/ein-computer-ist-kein-lowe,-oder-etwa-doch?/
- Becker, L., Kaltenegger, H. C., Nowak, D., Weigl, M., Rohleder, N. (2023)
Biological stress responses to multitasking and work interruptions: A randomized controlled trial
DOI: 10.1016/j.psyneuen.2023.106358
Eigene Publikationen:
- Becker, L., Kaltenegger, H. C., Nowak, D., Weigl, M., & Rohleder, N. (2022). Physiological stress in response to multitasking and work interruptions: Study protocol. Plos one, 17(2), e0263785.
- Becker, L., Kaltenegger, H. C., Nowak, D., Rohleder, N., & Weigl, M. (2023). Differences in stress system (re-) activity between single and dual-or multitasking in healthy adults: a systematic review and meta-analysis. Health psychology review, 17(1), 78-103.
- Becker, L., Kaltenegger, H., Nowak, D., Weigl., M., & Rohleder, N. (under revision). Biological stress responses to multitasking and work interruptions: a randomized controlled trial, submitted to Psychoneuroendocrinology.
- Kaltenegger, H. C., Becker, L., Rohleder, N., Nowak, D., Quartucci, C., & Weigl, M. (2022). Associations between digital work stressors, burnout, and hair cortisol concentration: A prospective study [Poster Präsentation]. Vortrag auf der 52nd Annual Meeting of the ISPNE, 8.–10. Oktober 2022, Chicago, USA. 2022 Poster Trainee Recognition Awards
- Kaltenegger, H. C., Becker, L., Rohleder, N., Nowak, D., & Weigl, M. (2021). Associations of working conditions and chronic low-grade inflammation among employees: A systematic review and meta-analysis. Scandinavian Journal of Work, Environment & Health, 47(8), 565–581. https://doi.org/10.5271/sjweh.3982
- Kaltenegger, H. C., Becker, L., Rohleder, N., Nowak, D., Quartucci, C., & Weigl, M. (2023). Associations of technostressors at work with burnout symptoms and chronic low-grade inflammation: A cross-sectional analysis in hospital employees. International Archives of Occupational and Environmental Health, 1–18. https://doi.org/10.1007/s00420-023-01967-8
Fremde Literatur:
- Dragano, N. & Lunau, T. (2020). Technostress at work and mental health: concepts and research results. Current Opinion in Psychiatry, 33 (4),407-413. doi: 10.1097/YCO.0000000000000613
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- World Health Organization. International statistical classification of diseases and related health problems 2019
- Kaltenegger, H. C., Becker, L., Rohleder, N., Nowak, D., Quartucci, C., & Weigl, M. (2023). Associations of technostressors at work with burnout symptoms and chronic low-grade inflammation: A cross-sectional analysis in hospital employees. International Archives of Occupational and Environmental Health, 1–18. https://doi.org/10.1007/s00420-023-01967-8
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- Becker, L., Kaltenegger, H. C., Nowak, D., Weigl, M., Rohleder, N. (2023)
Biological stress responses to multitasking and work interruptions: A randomized controlled trial
DOI: 10.1016/j.psyneuen.2023.106358