Was ist „guter“ digitaler Stress und wie entsteht er?
In der Arbeit muss Alex einen Vortrag halten. In dem Raum ist schon alles vorbereitet. Doch als Alex den Laptop mit dem Beamer verbinden möchte, kommt eine Fehlermeldung, dass irgendetwas mit dem Anschluss nicht stimmt. In diesem Moment steigt Panik in Alex auf.
Derartige Situationen, in denen technische Geräte nicht funktionieren, sind ein klassisches Beispiel für negativen digitalen Stress. Jedoch könnte Alex in derselben Situation auch guten digitalen Stress empfinden. Um dies zu erklären, muss man die individuelle Wahrnehmung betrachten. Stress entsteht in Situationen, die uns fordern oder überfordern. Dabei entscheidet die individuelle Wahrnehmung, wie wir die Situation bewerten. Die Forschung nennt zwei Hauptfaktoren, die die individuelle Wahrnehmung beeinflussen: Die Zielkongruenz der Situation und die Kontrolle über die Situation. Personen nehmen individuell wahr, ob und wie stark eine Situation förderlich für die individuellen Ziele ist. Wenn eine Situation potentielle negative Folgen haben könnte, spricht man von Stress. Je nachdem, wie man die eigene Kontrolle über die Situation bewertet, nimmt man sie als Gefahr oder Herausforderung wahr. Dabei beinhalten Herausforderungen zwar das Risiko zum Scheitern, aber auch die Chance auf positive Auswirkungen. Wenn man dann eine herausfordernde Situation meistert, lässt sie bspw. das positive Gefühl zurück etwas geleistet, gemeistert oder gelernt zu haben. Die erfolgreiche Bewältigung einer Herausforderung ist somit charakteristisch für guten digitalen Stress und unterscheidet diesen von negativem.
Ist es dann überhaupt Stress, wenn er doch gut ist?
In der Wissenschaft herrscht bislang Uneinigkeit über die genaue Definition und Existenz von gutem Stress. Der Wissenschaftler Hans Selye gilt als einer der Begründer der Stressforschung und hat vor vielen Jahrzehnten erstmals vom Konzept des positiven Stresses gesprochen, ihn aber nicht genauer spezifiziert. Diese Unschärfe, bewerten im Teilprojekt A01 wie folgt: Der Weg zum Ergebnis ist durchaus von Relevanz. Wenn etwas von Anfang an positiv ist und die Herausforderung fehlt, kann man aus unserer Sicht nicht von gutem digitalem Stress sprechen, weil es sich nicht um eine Stresssituation handelt, mit der die Menschen umgehen müssen. Ein Beispiel wäre: David wünscht sich schon lange ein bestimmtes Feature für sein Fotobearbeitungs-Tool. Als es nach dem nächsten Update endlich verfügbar ist, freut David sich und verwendet es sofort. Er hat positive Emotionen, ohne eine Form von Stress empfunden zu haben. Alex ist dagegen nicht so technikaffin und fühlt sich jedes Mal unsicher, wenn sich die Benutzeroberfläche nach einem Update verändert. Mit Hilfe von David hat Alex die Funktionsweise des neuen Features allerdings schnell verstanden und ist stolz darauf die Herausforderung gemeistert zu haben. Alex kann die Bilder nun viel effizienter bearbeiten als zuvor.
Wissenschaftliche und gesellschaftliche Relevanz von gutem digitalem Stress
In der Gesellschaft wird Stress meist als negatives Phänomen wahrgenommen. Jedoch zeigt die Forschung, dass guter digitaler Stress produktivitätssteigernd und innovationsfördernd wirken kann. Dies kann zum einen positive Auswirkungen für Unternehmen und die persönlichen Ziele von Arbeitnehmenden haben. Zum anderen wäre kein Fortschritt möglich, wenn wir darauf bedacht wären, die Ursachen von Stress, wie neue Softwareupdates, konsequent zu vermeiden. Hans Selye schrieb einmal „ein Leben ohne Stress ist nicht lebenswert“. Deshalb ist es sinnvoll zu erforschen, wie wir Technik gestalten und Menschen in die Lage versetzen können, den Umgang mit Technik als Herausforderung wahrzunehmen.
Guter digitaler Stress in der Praxis
Guter digitaler Stress hängt zwar von der individuellen Wahrnehmung ab, deren Beeinflussung ist aber keinesfalls nur Aufgabe der Person. Es hilft nichts, Alex zu sagen: „Seh‘ es doch einfach mal als Herausforderung!“. Die Rahmenbedingungen müssen stimmen, damit Menschen das Gefühl haben, eine herausfordernde Situation meistern zu können. Das gilt sowohl für die Arbeit als auch das Privatleben. Der Mensch besitzt eigene Ressourcen, die gefördert werden können, wie die Medienkompetenz. Daneben kann er aber auch auf externe Ressourcen zurückgreifen, z.B. die Unterstützung des sozialen Umfeldes oder des IT-Helpdesks. Dabei ist wichtig, dass man zur Problemlösung befähigt wird und das Problem nicht einfach abgenommen bekommt. Nur so entsteht das positive Gefühl, etwas gemeistert zu haben. Grundsätzlich ist es wichtig, in stressigen Situationen einen kühlen Kopf zu bewahren und das Problem einzugrenzen. Unklare Probleme scheinen häufig unüberwindbar. Wenn man Klarheit hat, entscheidet man, ob die eigenen Ressourcen ausreichen oder externe Unterstützung notwendig ist. Im Fall von Alex und der Beamer-Herausforderung würde das bedeuten, dass Alex feststellt, dass die eigene Medienkompetenz nicht ausreicht, um den Beamer zum Laufen zu bringen. Deshalb zieht Alex einen Kollegen hinzu. Mit dessen Unterstützung kann Alex das Problem selbst beheben und meistert die Herausforderung.
Das Wichtigste auf einen Blick
- Digitaler Stress hängt von der individuellen Wahrnehmung der Situation, wie der Zielkongruenz und der Situationskontrolle ab.
- Guter digitaler Stress entsteht bei einer wahrgenommenen Herausforderung, die man erfolgreich meistert.
- Auswirkungen von gutem digitalen Stress sind bspw. positive Emotionen, gesteigerte Produktivität oder Innovationsfähigkeit.
Autorin: Dana Schmauser