Gibt es Unterschiede im Umgang mit digitalen Stressauslösern zwischen Jugendlichen und Erwachsenen?
Viele Jugendliche und junge Erwachsene nutzen soziale Netzwerke. Deshalb kommt es häufig vor, dass Benachrichtigungen aus sozialen Netzwerken immer wieder das Lernen oder die Hausaufgaben unterbrechen. Dieses Szenario wird in der Literatur oft als sogenannten Techno-Overload beschrieben: Eine Person bekommt mehr Nachrichten als sie verarbeiten kann und fühlt sich in der Folge überfordert und gestresst.
Ob diese Benachrichtigungen tatsächlich so sehr stören und ablenken, dass sie die Leistung mindern und Stress auslösen, könnte von Fähigkeiten abhängen, die sich bis ins junge Erwachsenenalter hinein noch entwickeln. Diese Fähigkeiten beinhalten etwa, wie gut es gelingt, nicht auf die Benachrichtigungen aus den sozialen Netzwerken zu achten, und, falls man sie doch liest, wie schnell es gelingt, sich wieder auf die eigentliche Aufgabe zu konzentrieren.
Wir haben ein Experiment durchgeführt, in dem 12- bis13-jährige Jugendliche und junge Studierende zwischen 20 und 26 Jahren nacheinander 100 Sätze lesen mussten. Für jeden Satz mussten sie entscheiden, ob dieser Satz eine richtige oder falsche Aussage darstellt (z.B. „Tee ist ein Getränk.“). Ein Teil der Versuchsteilnehmer:innen, die sog. Experimentalgruppe, hat bei 39 Sätzen zusätzlich eine Benachrichtigung von Whatsapp, Youtube, TikTok oder Snapchat bekommen, die an sie persönlich gerichtet war. Der andere Teil, die sog. Kontrollgruppe, hat die gleichen Sätze ohne Benachrichtigungen gelesen.
Insgesamt weisen unsere Ergebnisse darauf hin, dass die Benachrichtigungen die Leseaufgabe stören. Die Teilnehmer:innen der Experimentalgruppe brauchten für die Sätze, bei denen eine Benachrichtigung erschien, länger als die Teilnehmer:innen in der Kontrollgruppe, die die gleichen Sätze ohne zusätzliche Benachrichtigung gelesen hatten. Das galt für Jugendliche und für junge Erwachsene. Die Jugendlichen ließen sich also nicht stärker ablenken als die Erwachsenen. Die Ergebnisse deuten zudem darauf hin, dass die Teilnehmer:innen der Experimentalgruppe nicht mehr Stress erlebten als die Teilnehmer:innen der Kontrollgruppe. Auch das galt für Jugendliche und für junge Erwachsene. Eine mögliche Erklärung könnte sein, dass die Teilnehmer:innen schnell einen kompetenten Umgang mit der Situation fanden. Beide Altersgruppen ließen sich nur zu Beginn des Experiments ablenken. Nach und nach beachteten die Versuchsteilnehmer:innen die Benachrichtigungen immer weniger. Dies gelang den Jugendlichen bereits ähnlich gut wie den Erwachsenen.
Das Wichtigste auf einen Blick
- Jugendliche können ähnlich gut wie Erwachsene erkennen, wenn Benachrichtigungen aus sozialen Netzwerken eine Aufgabe stören und dann ihr Verhalten so anpassen, dass sie die Aufgabe trotzdem angemessen fortsetzen können.
- Das bedeutet, schon Jugendliche können lernen mit Ablenkungen umzugehen: Sie können zwischen für eine Aufgabe relevanter und nicht relevanter Information unterscheiden und nicht-relevante Information ignorieren. Diese Kompetenz könnte eine Erklärung dafür sein, warum Benachrichtigungen aus sozialen Netzwerken, auch wenn es viele auf einmal sind, nicht immer zu Stress führen.