Welche Faktoren/Ursachen für digitalen Stress gibt es am Arbeitsplatz?
Täglich verbringen wir viele Stunden vor dem Bildschirm: Computer, Smartphones und Tablets sind aus unseren Büros nicht mehr wegzudenken und gestalten Arbeitsprozesse leichter und effizienter. Digitalen Technologien ausgesetzt sein, kann auch das Gegenteil bewirken. Diese können uns stressen und belasten – und damit zu einer Beeinträchtigung unseres Wohlbefindens und unserer Leistungsfähigkeit beitragen. Die Teilprojekte B04 und B05 haben sich in diesem Zusammenhang mit der Frage beschäftigt, welche digitalen Stressoren am Arbeitsplatz bestehen und biologische Reaktionsmuster auf digitalen Stress sowie dessen Gesundheitsfolgen untersucht.
Digitale Stressoren am Arbeitsplatz
In der Literatur wird eine Bandbreite verschiedener Ursachen für digitalen Stress am Arbeitsplatz beschrieben. Die wohl bekanntesten sind die fünf sogenannten Technostressoren (Tarafdar et al., 2007): techno-overload (Zeitdruck und Zunahme der Arbeit aufgrund des Einsatzes digitaler Technologien), techno-complexity (Gefühl unzureichender Kompetenz aufgrund hoher Komplexität von digitalen Technologien), techno-uncertainty (Verunsicherung aufgrund häufiger Wechsel und Änderungen digitaler Technologien), techno-insecurity (Jobunsicherheit durch Automatisierung des Arbeitsplatzes oder mangelnde Kompetenz im Umgang mit digitalen Technologien) und techno-invasion (Omnipräsenz von digitalen Technologien und Medien im Alltag mit invasiver Wirkung). Weitere Faktoren, die dazu führen können, dass Arbeitnehmer*innen am Arbeitsplatz digitalen Stress erleben, sind Arbeitsunterbrechungen, Multitasking-Anforderungen und Informationsüberflutung, Unterbrechungen des Arbeitsflusses durch (digitale) Technologien, wie z. B. E-Mails, Anrufe oder auch technische Störungen. Dies hat zur Folge, dass Beschäftigte versuchen, Unterbrechungen durch Multitasking zu kompensieren und mehrere Aufgaben gleichzeitig bearbeiten bzw. zwischen diesen hin und herspringen, was auf Dauer sehr anstrengend sein kann (siehe auch Weigl, 2021; Weigl & Kaltenegger, 2020).
Die Erfassung von digitalem Stress am Arbeitsplatz
Digitale Technologien sind nicht pauschal für digitalen Stress verantwortlich. Sie können sowohl unter bestimmten Bedingungen zum Stressor mit potenziell negativen Folgen werden, unter anderen Umständen aber hilfreiche Ressource mit potenziell positiven Folgen sein. In einem der einflussreichsten Modelle der Arbeitspsychologie (Job Demands-Resources Model, Demerouti et al., 2001) wird zwischen Anforderungen und Ressourcen am Arbeitsplatz unterschieden: Anforderungen sind Aspekte der Arbeit, die mit Anstrengung und damit Kosten verbunden sind, wie z. B. Zeitdruck; Ressourcen dagegen sind Aspekte der Arbeit, die hilfreich für die Zielerreichung sind und Anforderungen und damit verbundene Kosten reduzieren, wie z. B. Autonomie bei der Arbeit oder soziale Unterstützung durch Kollegen. So können auch digitale Technologien am Arbeitsplatz entweder als Stressor oder aber auch als Ressource wahrgenommen werden (Day et al., 2010). Beispielsweise erleichtern digitale Technologien den Zugriff auf Informationen, was einerseits Zeit sparen und das Arbeitspensum verringern kann, jedoch andererseits auch zu Informationsüberflutung und mehr Arbeit führen kann.
Zur Erfassung von Technostress stehen dabei verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung: Fragebogen zur Selbstauskunft, Fremdbeobachtung oder physiologische Marker (Biomarker), also objektiv messbare körperliche Reaktionen wie die Herzfrequenz oder die Ausschüttung von Stresshormonen. Dabei liefert eine Kombination verschiedener Methoden und Informationsquellen aus subjektiven Selbstbericht- und weniger beeinflussbaren physiologischen Daten vertiefte Erkenntnisse.
Reaktionsmuster auf Multitasking und Arbeitsunterbrechungen-eine Studie
Multitasking und Arbeitsunterbrechungen am Arbeitsplatz sind Phänomene, die in der heutigen modernen Arbeitswelt weit verbreitet sind. Multitasking bezieht sich auf die Fähigkeit, mehrere Aufgaben gleichzeitig zu erledigen, während Arbeitsunterbrechungen Situationen beschreiben, in denen Mitarbeiter*innen während ihrer Tätigkeiten von externen Faktoren unterbrochen werden. Die Studie aus den beiden Teilprojekten zielte darauf ab, die biopsychologischen Stressreaktionsmuster auf Multitasking und Arbeitsunterbrechungen im Zusammenhang mit digitalem Stress zu untersuchen. Insgesamt wurden 192 gesunde, erwachsene Teilnehmer*innen sechs verschiedenen Versuchsbedingungen zugeordnet, und zwar in zufälliger Reihenfolge. Das Ziel der Studie war es, ein besseres Verständnis für die Auswirkungen von digitalem Stress auf die biologische Gesundheit zu erlangen und die Grundlagen für zukünftige Forschung in diesem Bereich zu legen. Es konnte während der Durchführung von Doppel- oder Mehrfachaufgaben eine höhere Aktivität des sympathischen Nervensystems gefunden werden als während der Durchführung von nur einer Aufgabe. Effekte auf die Cortisolwerte oder das Immunsystem konnten hingegen nicht gefunden werden. Dass Multitasking im Vergleich zur Durchführung von nur einer Aufgabe zur Aktivierung des Sympathischen Nervensystems führt, konnte in einem weiteren Experiment, das von den Teilprojekten B04 und C06 gemeinsam durchgeführt wurde, sowohl für jüngere als auch ältere Erwachsene bestätigt werden.
Ein weiterer potenzieller Stressor in der Arbeitswelt sind Bewerbungsgespräche. Diese stellen für viele Personen eine große Herausforderung dar und führen häufig zu dem Gefühl, sich gestresst zu fühlen. Seit der Coronapandemie wurden auch Bewerbungsgespräche in den digitalen Raum verlegt. In einem Kooperationsprojekt der Teilprojekte B04 und D09 wurde untersucht, ob auch digitale Bewerbungsgespräche biologische Stressreaktionen auslösen. Es konnte bestätigt werden, dass diese zu Reaktionen des Sympathikus und der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse (Verlinkung zu Was passiert bei digitalem Stress im Körper) führen. Weibliche Bewerber*innen empfanden die Situation stressiger als Männer. Bei Personen, welche die Situation als Bedrohung wahrgenommen haben, wurden höhere Cortisol-Level nach dem Bewerbungsgespräch gefunden als bei Personen, welche die Situation als Herausforderung ansahen. Die Daten, die im Rahmen dieser Studie erhoben wurden, wurden als multimodaler Stressdatensatz veröffentlicht.
Das Wichtigste auf einen Blick:
- Faktoren für digitalen Stress am Arbeitsplatz sind zum Beispiel Arbeitsunterbrechungen, Multitasking oder Informationsüberflutung.
- Digitale Technologien sind nicht automatisch für digitalen Stress verantwortlich. Sie können unter bestimmten Bedingungen Stressor mit potentiell negativen Folgen und unter anderen Umständen hilfreiche Ressource mit potentiell positiven Folgen sein.
- Multi- und Doppelaufgaben führen nicht nur zu einem subjektiven Stressgefühl, sondern auch zu objektiv messbaren physiologischen Stressreaktionen des sympathischen Nervensystems.
- Digitale Bewerbungsgespräche führen ebenfalls zu messbaren physiologischen Stressreaktionen.
Open Data Datensätze
- Becker, L., Kaltenegger, H. C., Nowak, D., Rohleder, N., & Weigl, M. (2022).
Differences in stress system (re-)activity between single and dual- or multitasking in healthy adults: a systematic review and meta-analysis.
Health Psychology Review,1-26.
https://doi.org/10.1080/17437199.2022.2071323 - Becker, L., Kaltenegger, H. C., Nowak, D., Weigl, M., & Rohleder, N. (2022).
Physiological stress in response to multitasking and work interruptions: Study protocol.
PloS one, 17(2), e0263785.
https://doi.org/10.1371/journal.pone.0263785 - Kaltenegger, H. C., Becker, L., Rohleder, N., Nowak, D., Quartucci, C., & Weigl, M. (2023). Associations of technostressors at work with burnout symptoms and chronic low-grade inflammation: A cross-sectional analysis in hospital employees. International Archives of Occupational and Environmental Health, 1–18. https://doi.org/10.1007/s00420-023-01967-8
- Weigl, M. (2021). ‚Alles auf einmal‘: Multitasking in der Arbeit. https://scilogs.spektrum.de/gesund-digital-leben/alles-auf-einmal-multitasking-in-derarbeit/
- Weigl, M., & Kaltenegger, H. C. (2020). “Sorry, dass ich störe”: Unterbrechungen in der Arbeit.
- https://scilogs.spektrum.de/gesund-digital-leben/sorry-dass-ich-store-unterbrechungen-inder-arbeit/
- Weigl, M., & Kaltenegger, H. C. (2021). Die elektronische Patientenakte – Technostress im Krankenhaus? https://scilogs.spektrum.de/gesund-digital-leben/die-elektronischepatientenakte-technostress-im-krankenhaus/
- http://hcai.eu/fordigitstress